Überall in der Stadt herrscht Stille, die Menschen schlafen. Nur einer schläft nicht, denn er arbeitet an einer Erfindung, von denen in unzähligen Filmen bereits erzählt wurde und die noch nie jemand verwirklichen konnte:
Eine Zeitmaschine!
Einige Nächte später: Zufrieden fährt sich der Metal-Fan durch die nicht mehr allzu langen Haare und betrachtet sein Werk: Beinahe wie ein Autositz sieht die Maschine aus und die Schaltfläche mit der einzuprogrammierenden Jahreszeit ähnelt der Tastatur eines Laptops. Z und V stehen da als grundsätzliche Wahlmöglichkeit, Zukunft und Vergangenheit. Die Zukunftsfunktion hat er nicht in Betrieb genommen, weil ihn diese nicht interessiert, also nichts wie ab in die Vergangenheit, als ein Kirk Hammett noch nicht in Designeranzügen durch die Gegend lief, sondern sich genau über diese Individuen lustig machte, als Rob Halford noch mit der Harley auf die Bühne fuhr, als...’Halt’, so scheint ihm die Maschine zuzuflüstern, ‚vergiß doch diese Gedanken der Gegenwart, steig ein und erlebe es aufs Neue...’
Er nimmt Platz, drückt V und überlegt, in welches Jahr er denn reisen soll: 1986, in die Blütezeit des US-Metal? Bands wie Omen, Savage Grace, Heathen, Sanctuary...das wäre genial. Aber wäre es nicht noch viel genialer, sich in die eigene Halbstarkenzeit zurückzuversetzen? ‚Das mache ich’, denkt der Metal-Fan und gibt die magische Zahlenfolge in, die ihn in eine bessere Zeit versetzt:
1 9 8 1.....
Ein kurzes Rumpeln und die Welt um ihn herum verfliegt in einem Wirbel aus Farben und Tönen, Plattencover tauchen vor ihm auf, die letzten Metallica -Scheiben, die ihn so sehr enttäuscht haben, Accept´s peinliche Comebackversuche, es geht weiter zurück, Priests Painkiller , die US-Metal-Heroes, Covers von Agent Steel und Heir Apparent , die Konzerte in der RoFa LB, das erste Mortal Sin, Dio´s Holy Diver, er kommt näher und plötzlich wird es hell – er steht in seinem Zimmer. Doch wer ist der Typ, der da vor der Anlage steht und bangt wie ein Verrückter? ‚Mann, das bin ich!’ schießt es ihm durch den Kopf. 16 Jahr, langes Haar, oder wie war das? Und die Jeansweste, oh Mann! Was läuft denn gerade? No sleep til Hammersmith, das geht ab ohne Ende, kein Wunder, daß er so den Kopf dazu schüttelt. ‚Daß ICH den Kopf dazu schüttle’, korrigiert er sich in Gedanken. Aber was ist das für ein Sound? Er wirft einen Blick auf die Anlage und stellt fest, daß diese den Namen gar nicht verdient: Eine Kompaktanlage, alles in einem, so wie sie´s damals noch gab. 2 x 25 Watt, das Höchste der Gefühle. ‚Genial, er kann mich nicht sehen, ich schaue mir selbst zu. Mal sehen, was ich damals so im Plattenschrank stehen hatte: Uriah Heeps Fallen Angel, mit der ich meine Heep-Fankarriere begann, die bis heute angehalten hat, Virgin Killer von den Scorpions mit dem alsbald indizierten Cover, Taken by Force und die gnadenlose Tokyo Tapes Doppel-Live-LP, die mir im Radio Freytag seinerzeit extra noch versiegelt zur Seite gelegt wurde. Und hier, die Klassiker der nachfolgenden Metal-Generation, Saxon´s Wheels of Steel , die einer meiner Kumpels später mal ausleihen, unter der Schulbank liegenlassen und dann mit einer neuen anrücken würde, dazu der im gleichen Jahr erschienene Nachfolger Strong arm of the Law, der genauso gespickt mit Klassikern gewesen ist und mit seinem weißen Cover und der Polizeimarke total auffiel, Maidens Debut, die ich mir noch vor dem Konzert, welches die Band als Vorgruppe für Kiss in der Karlsruher Schwarzwaldhalle bestritt, gekauft hatte, weil in der Bravo was von „ich dachte, ich hätte meinen Kopfhörer versehentlich an eine Steckdose angeschlossen“ stand und die am Tag nach dem Konzert plötzlich 5,--DM teurer war. Michael Schenker hatte gerade sein langerwartetes Debut aufgenommen, welches mich als Vorab-Import teuer zu stehen kam, Ozzy Osbourne hatte 1980 ebenfalls zugeschlagen und Blizzard of Ozz veröffentlicht, während Motörhead mit Ace of Spades die Meßlatte noch ein Stückchen höher legten und AC/DC den tragischen Tod Bon Scotts nach der grandiosen Highway to Hell mit neuem Sänger und Back in Black überwanden, mein Gott, so viele geniale Platten in so kurzer Zeit...
Völlig benebelt legt der Metal-Fan eine kleine Pause ein und hört im Hintergrund sich selbst völlig begeistert „The world is full of kings and queens who blind your eyes then steal your dreams, it´s Heaven and Hell!!! “ singen und blättert weiter in seiner Plattensammlung von damals und in seiner Erinnerung: Klar, Black Sabbath´s Heaven and Hell war eigentlich DIE Platte des Jahres, ragte aus all den anderen bis heute gültigen Klassikern heraus, Neon Knights hatte DAS Riff schlechthin. Aber was ist das, da habe ich ja noch eine LP vergessen, genauso gut wie Black Sabbaths Comeback und ein Meilenstein für immer und ewig: British Steel prangt da auf der Rasierklinge und Judas Priest haben hier drauflos gebrettert, daß einem die Kinnlade herunterfiel, Steeler war das ultimative Gitarren-Feuerwerk, Breaking the Law, Grinder, Metal Gods und Living after Midnight, war das genial....Wie war das noch mit Priest, hatte ich nicht noch was von denen?’ denkt er und sucht weiter und da ist sie: Unleashed in the East , mit all den frühen Klassikern, die wir seinerzeit bei Christian rauf und runter gehört haben, weil er die LP dauernd aufliegen hatte, weil er zu faul war, eine andere aufzulegen und ihm diese so gefiel, Ripper, Sinner, Tyrant, Exciter und Green Manalishi, ist das zu fassen? Und hier, der Metal-Fan fällt schier in Ohnmacht vor Begeisterung und tut es seinem 16-jährigen Ich beinahe nach, welches sich gerade einen der genialsten Songs aller Zeiten anhört, Saxon´s Princess of the Night, dazu „She used to be an iron horse, 20 years ago, used to bring the metal to me, through the ice and snow, I sat alone and watched her, steaming through the night, 90 tons of thunder lighting up the sky“ singt und sich sogleich einen elterlichen Verweis aufgrund der Lautstärke einfängt.
Ein wissendes und völlkommen glückliches Lächeln überzieht sein Gesicht, als er eines der besten Hardrock-Live-Alben aller Zeiten aus dem Regal zieht und sich einmal mehr fragt, warum es damals NUR Klassiker gegeben hat und 20 Jahre später fast nichts mehr: Whitesnakes Live in the heart of the City, mit dem genialen Slide-Solo bei Love Hunter, dem sensationellen Top-20-Hit Fool for your loving , dem schnellen Lay down und dem von vielen tausend Fans gesungenen Ain´t no love in the heart of the City , er schüttelt nur noch den Kopf und fragt sich, wie er bei all diesen Genialitäten und der Begeisterung im Gesicht seines halbstarken Ich noch die Kraft für die Rückreise aufbringen soll, insbesondere als er auch noch Metal Rendezvous von Krokus entdeckt und sich daran erinnert, wie lange er nach dieser LP gesucht und gefragt hatte. Berichte gab es damals, wonach Krokus die neue Metal-Sensation wären, die bereits erste Erfolge in den Staaten feiern würden und die Blätter sprachen von Metal Rendezvous als Überhammer und ich rannte wochenlang durch die Gegend und keiner wußte was von der LP. Auf SWF 3 gab es damals ein Heavy Metal-Spezial von A-Z und unter K spielten sie tatsächlich was von der LP, wenn auch nur eine Halbballade, aber schon hier (der Song war Streamer) konnte man hören, daß die Band wirklich drauf und dran war, ganz groß rauszukommen. Und dann wurde eine meiner unzähligen Reisen in die Stadt eines Tages doch noch belohnt und ich hielt die LP in Händen, brachte sie zitternd und vorsichtig mit der Straßenbahn nach Hause, als kostbaren und lange gesuchten Schatz, der sich bei Songs wie Heatstrokes, Come on mit der genialen Textzeile To the place where the evil dies oder Fire auch als solche entpuppte.
Der Metal-Fan sieht vor seinem geistigen Auge sich selbst in der Schule sitzen und mit seinen Klassenkameraden über Musik diskutieren, er hört, wie man ihm väterlich wissend von seiten der Genesis -Fraktion die Info gibt, daß sich das mit dem harten Zeug mit dem Alter legen würde, Zappa und Genesis würden dann folgen, eben richtige Musik. Es war ihm egal, er ritzte weiter seine AC/DC -Logos in die Bänke und schrieb Nachrichten mit anderen dort sitzenden Schülern, die ebenfalls Metal hörten und er war sich ganz sicher, daß seine Liebe zur harten Musik niemals nachlassen würde. Er wußte es damals nicht, aber sein zugereistes Ich aus dem Jahre 2002 wußte es, daß er damals mit seinem Gefühl richtig gelegen hatte und er würde es seinem jüngeren Ich so gerne sagen, ihm zurufen ‚Laß Dich nicht unterkriegen, Du wirst Deinen Glauben und Deine Begeisterung für diese, Deine Musik, behalten!’
Eine verzerrte Gitarre holt ihn in sein Zimmer und zu seinem immer noch hingebungsvoll der Musik lauschenden Ich zurück, der legendäre Beginn des Southern-Rock-Hammers, den damals jeder kannte und immer wieder laufen ließ: Gooooooood Morning bliesen die Indianer von Blackfoot auf ihrer besten, der 81er LP Marauder, in die Ohren aller Metal-Fans, alleine dieses Songs wegen, den er seinerzeit dauernd im Radio (SDR 3, Treff nach Zwei) hörte und der so tierisch gut abging, hatte er sich die LP mit dem wunderschönen Adlerkopf-Motiv gekauft und einmal mehr sein Taschengeld in die Musik investiert anstatt es zu sparen. ‚Was haben wir noch?’, denkt der Metal-Fan, während er seinem Ich zusieht, wie es gerade Ozzy Osbourne´s zweite LP Diary of a Madman auflegt und zu Over the Mountain Luftgitarre spielt. ´Genau, die erste LP von Van Halen mit dem wahnsinnigen Gitarrensound und Killer-Riffs, die breit wie eine Wand aus den Boxen kamen und dann natürlich noch Accept´s Breaker, war das damals eine Begeisterung für diese neue, vollkommen unbekannte deutsche Band, die beiden weißen Flying V-Gitarren, die da mit Stacheldraht aneinandergebunden auf dem Backcover standen und dann die Ankündigung, daß Accept im Vorporgramm von Priest und Def Leppard spielen sollten. Nur rund 30 Minuten durften sie spielen, aber sie taten das wie im Rausch, aggressiv und so vollkommen aufeinander eingespielt, beide weißen V-Gitarren waren im Einsatz und die ballett-ähnlichen Gitarrenduelle waren einmalig'. Er blättert weiter in der Plattensammlung und stößt auf das schwarz-weiß gezeichnete Cover der zweiten MSG: Oh ja, Are you ready war ja so genial, Cozy Powell von Rainbow saß am Schlagzeug und Michael Schenker, der ebenfalls eine weiße V-Gitarre spielte, galt nicht nur für mich als der beste Gitarrist der Welt. Und hier, Black Sabbath´s Mob Rules , was waren wir gespannt nach Heaven and Hell und Mob Rules war fast genauso gut, mit dem gigantisch schweren Sign of the Southern Cross, mit Voodoo und dem schnellen Titelsong. Dio war eben was ganz besonderes. Maiden auch, die zweite LP Killers gefiel mir genauso gut wie das Debut – was war das für ein Grinsen, als ich den letzten freien der 4 nebeneinander stehenden Plattenspieler im Radio Freytag aufsuchte, die LP auf- und das Cover mit Eddie und der bluttriefenden Axt vor mich hinlegte: Die anderen 3, die da standen und sich ebenfalls Platten anhörten, hörten genau DIESE LP und alle lächelten wir uns wissend an, so als ob wir sagen wollten: Here we are, the Metal-Generation und ihr anderen könnt uns mal mit eurer beschissenen Disco-Musik, es war, als ob wir einem Geheimbund angehören würden, den nur Eingeweihte kannten...Ich hatte schon meine Karte für die Killers -Tour in der Gartenhalle in Karlsruhe und dann sah ich die Kopie eines Telex an der Eingangstür des Fairy Records hängen, auf welchem im Namen von Steve Harris stand, daß Paul Di´Anno aufgrund von Stimmbandproblemen nicht auftreten könne und somit einige Konzerte, auch das in Karlsruhe, ausfallen müßten. Was war das für eine Enttäuschung, 18,50 DM hatte ich bezahlt und dann bekam ich sogar nur 18,--DM wieder zurück, weil die VVK-Gebühr einbehalten wurde, es war deprimierend. Noch schlimmer wurde es, als die Termine der Nachholkonzerte bekanntgegeben wurden und das Karlsruher Konzert auf einmal in Mannheim stattfand. Und ich hatte keinen Führerschein und keine elterliche Erlaubnis, mich dorthin durchzuschlagen...ja ja, die alten Zeiten....manchmal war´s auch hart, so jung zu sein....'
‚Ich glaube, ich muß jetzt gehen’, denkt der Metal-Fan und wirft noch einen Blick auf sein 16-jähriges Ich, welches noch im selben Jahr 17 werden und weiteren unzähligen Klassikern entgegensehen sollte. ‚Ob er wohl ahnt, was er noch alles an toller Musik vor sich hat?’ fragt sich der Metal-Fan, ‚bestimmt, sonst hätte er nicht so fanatisch die Treue zu dieser herrlichen Musik gehalten. Maiden würden Paul Di`Anno feuern, aber mit The Number of the Beast und dem neuen Sänger Bruce Dickinson eine Legende erschaffen, woe to you oh earth and sea, for the devil sends the beast with wrath, because he knows the time is short, let him who has understanding reckon the number of the beast, for it is a human number. It´s number is sixhundred sixty six... sie würden mit dieser LP Platz 1 in England und den Durchbruch schaffen und mit Run to the hills ihren ersten Hit haben, Saxon würden ihre erste Live-Scheibe veröffentlichen und ein Jahr später mit Power and the Glory ihren Zenit erreichen, Krokus würden mit Hardware, die ein richtig "metallisches" Cover besaß und One vice at a time, die sehr nach AC/DC klang, aber trotzdem gut war, herauskommen und mit Headhunter sogar noch einen draufsetzen, Accept´s Restless and Wild würde auf lange Zeit zur härtesten und schnellsten LP meiner Sammlung werden und ich würde ein dummes Gesicht machen, als ich an meinem Geburtstag die Platte von 2 Kumpels geschenkt bekommen würde, weil plötzlich ein zerkratztes Heidiheidoheida ertönen und die Nadel über die Platte rutschen (dachte ich zumindest, weil ich nicht auf den Plattenspieler schaute und ganz erschrocken aufsprang) würde, bevor mit Fast as a shark die schnellste Nummer aller Zeiten loskrachte. Priest würden zusammen mit Maiden die Spitze bilden und mit Screaming for Vengeance und Defenders of the Faith zwei absolute Klassiker abliefern, Dio würde Holy Diver veröffentlichen und ich vor meiner Kompaktanlage auf die Knie sinken und zu Stand up and shout meine Luftgitarre spielen....gute alte Zeit...'
Ein glückliches Lächeln huscht über das Gesicht des Metal-Fans, als er sich wieder in seine Zeitmaschine setzt. ‚War schon toll damals’, denkt er und nimmt Abschied. Er wählt die 2 0 0 2 und schließt die Augen, damit er die nun vorwärts huschenden Plattencover bis hin zur letzten Metallica nicht mehr sehen muß und nach wenigen Sekunden ist er wieder in der Gegenwart angekommen. ‚Zum Glück kann ich den Trip jederzeit wiederholen’, denkt er, deckt seine Zeitmaschine ab und geht zufrieden davon.
Der Zeitreisende war ich und der Trip hat mir viel Spaß gemacht, so wie Euch hoffentlich auch. Ihr könnt diese Reise auch machen, denn ihr alle habt eine Zeitmaschine bei Euch zuhause, manche nennen sie auch CD-Player oder Plattenspieler...Ihr könnt reisen, wann immer ihr wollt und in welches Jahr auch immer...just close your eyes...
...and in a world far away we may meet again....
Frank